Patientinnen und Patienten, welche in der forensischen Psychiatrie behandelt werden, leiden unter doppelter Stigmatisierung: sie gelten nicht nur als psychisch krank, sondern gleichermassen als kriminell. Das Erleben, die Folgen und die Bewältigung der psychischen Erkrankung betreffen aber nicht nur die erkrankte Person selbst, sondern die gesamte Familie.
Die Angehörigen psychisch erkrankter Menschen leiden unter vielfältigen Belastungen. Neben emotionalen Belastungen, dem Erleben von Ausgrenzung, den eigenen gesundheitlichen Risiken, dem zeitlichen Betreuungsaufwand können auch berufliche Nachteile und finanzielle Einbussen dazu gehören. So ist bekannt, dass von der ersten stationären psychiatrischen Behandlung bis zu einer Anlasstat für die forensische Unterbringung statistisch ein Zeitraum von knapp sieben Jahren vergeht. In dieser Zeit sind die Angehörigen von später forensisch untergebrachten Patienten und Patientinnen den gleichen Belastungen ausgesetzt wie die Angehörigen allgemeinpsychiatrischer Patientinnen und Patienten.
Studien zum Erleben von Eltern und anderen Familienangehörigen von forensisch untergebrachten Patienten und Patientinnen zeigen, dass Angehörige teils selbst bereits früher zum Ziel gewalttätigen oder aggressiven Verhaltens des erkrankten Familienmitglieds wurden. Diese angstauslösenden Vorkommnisse werden meist nicht ausserhalb der Familien kommuniziert.
Erst eine geahndete Straftat bringt die Familien in Kontakt mit der Polizei, mit dem Rechtssystem, aber auch mit Anwälten und den Medien, was den psychischen und sozialen Stress noch verstärkt. Besonders wenn über ein Anlassdelikt in den Medien berichtet wird, ist dies für die Angehörigen, die sich ohnehin schuldig und beschämt fühlen, mit noch mehr psychischem Stress verbunden. Folglich steigt die Gefahr, sich aus sozialen Kontakten zurückzuziehen, etwa aus Selbsthilfegruppen für Angehörige psychisch erkrankter Menschen, aus Furcht vor der doppelten Stigmatisierung. Familien psychisch kranker Straftäter sind einem erhöhten Stressniveau ausgesetzt, weil sie mit der Gewalt, der doppelten Stigmatisierung und nicht integrierten familiären Beziehungen konfrontiert sind.
Diese Familien haben grossen Informationsbedarf, von der Tat und der Gerichtsverhandlung, über den Massnahmenvollzug bis zum Kontakt mit den Einrichtungen und geplanten Besuchen in der Forensik. Etwa an einer verständlichen Informationsvermittlung zu Entscheidungsabläufen, Sicherheitsmassnahmen, Besuchsbedingungen, Kontaktregelungen, Lockerungsstufen und dem Alltagsablauf in forensischen Einrichtungen.
In der Schweiz fehlten bislang gebündelte Informationen für Angehörige von forensisch untergebrachten Personen. Die Fachgesellschaft psychiatrisch Tätige in der forensischen Psychiatrie (FPFP)und das Netzwerk Angehörigenarbeit Psychiatrie (NAP) haben nun eine Informationsbroschüre herausgebracht, in welcher auf die bereits beschriebenen Themen wie auch die spezifischen Belastungen der Angehörigen von forensischen Patientinnen und Patienten eingegangen wird.
Erste Rückmeldungen von Mitarbeitenden der Straf- und Massnahmenbehörden sowie von Mitarbeitenden forensisch psychiatrischer Einrichtungen fallen sehr positiv aus. Sie zeigen zudem, dass auch die Mitarbeitenden in den forensischen Einrichtungen für die Anliegen Angehöriger sensibilisiert werden und die Broschüre dazu beiträgt, dass diese Familien nicht länger vergessen werden. Und dass sie die Broschüre nicht nur an Angehörige ihrer Patientinnen und Patienten aushändigen, sondern sie auch nutzen, um neuen Mitarbeitenden einen Einblick in den sie erwartenden Arbeitsalltag zu geben.
Die Autorinnen und Autoren haben am 29. November 2024 den Anerkennungspreis des Ulrike-Fritze-Lindenthal-Antistigma-Preis 2024 am DGPPN 2024 in Berlin erhalten.
Informationsbroschüre für Angehörige von Patientinnen und Patienten in stationärer Behandlung in der forensischen Psychiatrie (2024)
In gedruckter Form ist die Broschüre auch auf der Forensikstation der Psychiatrie St.Gallen am Standort Wil erhältlich.
Dr. rer. medic Susanne Schoppmann
UPK Basel, Fachgesellschaft psychiatrisch Tätige in der forensischen Psychiatrie (FPFP)
Thomas Lampert
Psychiatrie St.Gallen, Netzwerk Angehörigenarbeit Psychiatrie (NAP)