Dr. Rose Ehemann, Leiterin Ateliers-Living Museum in Wil zeigt auf, was der künstlerische Ausdruck bewirken kann und warum die Kreativtherapien der Psychiatrie St.Gallen besonders gefragt sind.
Die Psychiatrie St.Gallen bietet an allen Standorten zahlreiche, unterschiedliche Kreativtherapien an. Was sind Kreativtherapien?
Das sind nonverbale Therapien, die kreative Verfahren einsetzen, um Therapiefortschritte bei psychisch kranken Menschen zu erreichen. Belastende Erfahrungen können oft nicht in Worten ausgedrückt werden. Da helfen nonverbale Verfahren, um eine Brücke der Kommunikation zur Aussenwelt zu bauen.
Was bewirken diese Therapien?
Die Therapien – d.h. sich künstlerisch auszudrücken – bewirken z.B. Katharsis, also Spannungsabbau, Schmerzen durch Flow-Erleben zu vergessen, Ängste und Nöte auszudrücken, Linderung, Selbstwirksamkeit erfahren. Ressourcen können geweckt werden, die Menschen können wieder zu mehr Selbstvertrauen kommen und vieles mehr.
Welche Kreativ-Angebote sind das konkret?
Es gibt verschiedenste Angebote, so dass für jeden etwas dabei ist. Dazu gehört die Kunsttherapie, die alle möglichen kreativen Verfahren einsetzt. In den Ateliers-Living Museum in Wil bieten wir Malerei, Bildhauerei, Neue Medien, Textiles, Musik und Theater in vier verschiedenen Ateliers an – im Kunst- und Medienatelier, Keramikatelier, Werkatelier mit Holz und Glasbearbeitung sowie im Papieratelier. An unseren Standorten kommen ebenfalls viele unterschiedliche Materialien zum Einsatz. Weiter arbeiten die Ergotherapie wie auch die naturgestützten Therapien mit kreativen Verfahren.
«Kreatives Arbeiten ermöglicht Flow-Erleben, einen Zustand fern von Angst und Langeweile, lustbetont und sinnstiftend.»
Wer nutzt ein solches Therapieangebot?
Die Kreativtherapien sind für unterschiedlichste Patientinnen und Patienten aus dem ganzen Kanton St.Gallen zugänglich, die bereit sind sich auf einen kreativen Prozess einzulassen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie gerade in einem stationären, tagesklinischen oder ambulanten Setting behandelt werden.
Welches sind denn die häufigsten Diagnosen der Patienten, die eine Kreativtherapie machen?
(Borderline-)Persönlichkeitsstörungen, Affektive Störungen, d.h. Depressionen oder Manien, Menschen mit Suchterkrankungen, Essstörungen, Angststörungen, Schmerzstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen etc.
Die Kreativtherapien sind sehr beliebt. Warum?
Psychisch kranke Menschen sind oft sehr kreativ. Die Kreativtherapien versuchen, dieses Potenzial zu fördern und an die Oberfläche zu bringen. Als Kinder haben wir alle gezeichnet, musiziert etc. um uns die Welt zu erklären und um Spuren unserer Existenz und Identität zu hinterlassen. Kreatives Arbeiten ermöglicht Flow-Erleben, einen Zustand fern von Angst und Langeweile, lustbetont und sinnstiftend. Darin können vielfach Glücksgefühle entstehen.
Wie lautet Ihr Erfolgsrezept? Bzw. was ist besonders an den Angeboten der Psychiatrie St.Gallen?
Besonders sind die Ausstellungen, die wir in den Ateliers-Living Museum in Wil organisieren. Wir zeigen die beeindruckenden künstlerischen Werke in der Öffentlichkeit, sofern die Patienten zustimmen. Auf diese Weise erhalten die psychisch kranken Menschen die Möglichkeit, sich mit all ihrem Potenzial zu zeigen und zur Entstigmatisierung der Psychiatrie beizutragen.
Zudem verfügen wir an allen Standorten über helle, grosszügige Räumlichkeiten mit entspannender und einladender Atmosphäre. Unsere Kreativ-Teams sind sehr engagiert, nehmen sich den Anliegen der Patienten wohlwollend an und bieten Freiraum zur Selbstentfaltung. Sie helfen beim Einstieg, wenn jemand noch keine Vorerfahrungen hat, vermitteln unterschiedliche künstlerische Techniken und begleiten achtsam die Entstehung der künstlerischen Werke. Für individuelle Wünsche haben wir vielfältige Angebote.
Wie erfolgt die Anmeldung/Zuweisung? Kann sich jemand auch direkt selber anmelden?
Die Zuweisung erfolgt innerhalb des stationären, teilstationären oder tagesklinischen Rahmens über unsere Ärztinnen und Ärzte. Für ein ambulantes Setting weisen die Behandlungsteams der Ambulatorien oder niedergelassene Psychiaterinnen und Psychiatrer und Hausärztinnen und -ärzte zu. Patientinnen und Patienten können sich nicht direkt bei den Ateliers anmelden, da sonst die Kostenübernahme durch die Krankenkasse nicht garantiert ist.
An wen kann man sich bei Fragen und/oder für weitere Auskünfte wenden?
Unsere Ambulatorien können Auskunft erteilen oder natürlich ich bzw. meine Kollegen des Ateliers-Living Museum.
Rose Ehemann persönlich
Wie würden Sie sich selbst charakterisieren?
Ich bin offen, vielseitig interessiert und habe gelernt, visionär zu denken. Besonders mag ich, anderen Menschen, denen es nicht gut geht, Hoffnung und Freude am Leben und vor allem an der Kunst zu vermitteln. Da ich selbst regelmässig malerisch tätig bin, weiss ich um die befreiende und heilende Kraft die im künstlerischen Gestalten liegt.
Was schätzen Sie an Ihrer Arbeit?
Ich bin dankbar, in einer solch tollen Institution wie der Psychiatrie St.Gallen schon seit 16 Jahren arbeiten zu dürfen. Vor allem erfüllt mich die Arbeit mit den wertvollen, künstlerisch begabten und sensiblen Individuen unserer Gesellschaft, von denen ich sehr viel lernen kann.
Stolz bin ich auf alle Mitarbeitenden der Ateliers-Living Museum. Sie leisten grossartige Arbeit – ich bin ihnen zu grossem Dank verpflichtet.
Haben Sie ein Lebensmotto?
Staunend durchs Leben
Was tun Sie zum Ausgleich? Haben Sie Hobbies?
Ich liebe und lebe Kultur – insbesondere die Malerei, Literatur, Musik; aber auch Reisen. Unsere Patchwork-Familie mit fünf Kindern hält mich zudem ganz schön auf Trab.
Herzlichen Dank, Rose Ehemann, für Ihre Ausführungen und das spannende Gespräch.
Dr. paed. Rose Ehemann:
- ist Leiterin Ateliers-Living Museum in Wil
- widmet sich als Präsidentin des Living Museum Vereins Schweiz insbesondere auch dem Aufbau von weiteren Living Museen in der ganzen Welt. Der Verkaufserlös ihrer Kunstwerke kommt dem Living Museum Verein zugute. www.roseangelsmiles.art